Es ist nicht nötig, daß man einem Bild ansehe, wie es entstanden ist. Selbst die Anlässe, die der Maler hatte, das Bild zu malen, sind für mich unwichtig. Es sind seine Anlässe. Vielleicht hatte er eine Art allgemeiner Mal-Lust und suchte diese Lust dann während des Malens durch diese und jene ästhetische Entscheidung gleichzeitig auszudrücken und zu legitimieren. Es tauchen jetzt öfter auf Bildern wieder Gegenstände auf. Tiere, zum Beispiel, die aussehen als seien sie nicht durch vorgefaßte Absicht, sondern unwillkürlich, einfach von selbst durch Drauflosmalen entstanden. Sie bleiben völlig im Bild, gehen auf in Malerei.
Das Bild verbirgt sie eher als daß es sie präsentiert. Es soll nur gemalt werden. Aber frage nicht, was. Was soll ich dann fragen? Nach der Schönheit! Die gibt es. Aber nicht durch inhaltlich gestützte Stimmungen vermittelt. Das ästhetische Kalkül drängt sich nicht als solches auf. Im Gegenteil. Es tut alles, sich nicht als solches zu zeigen. Schön soll es schon sein, das Bild. Aber wir sollen nicht gleich wissen und sagen können, warum.
Wenn ein Baum oder ein Mensch so und so gemalt wird, dann kriegen wir die ästhetische Leistung gleich bar präsentiert. Aber wenn sich einfach Malerei zeigt, die nicht wild auf Gegenstände ist, sondern sich fast dafür geniert, daß solche auftauchen, dann sind wir zuerst allein gelassen als Betrachter. Wir stehen offenbar reiner Malerei gegenüber, das heißt, wir sind auf uns selber angewiesen. Und das ist nicht sofort ein Genuss. Unsere Augen sind Verkehrszeichen gewöhnt.
Der Kurzschluss vom Auge zum Gehirn ist unser Normalzustand. Und jetzt irren die Augen in Gemaltem und an im herum und können nichts melden. Es dauert eine Zeitlang, bis sie sich aus ihrer Abgerichtetheit befreien und fähig werden, etwas auf sich wirken zu lassen, was keine Chance hat, eine Meldung zu werden. Wer diese Zeit hat, dem geht dann vielleicht etwas auf. Es kann befriedigend sein, nicht zu wissen, warum man etwas schön findet. Vielleicht ist das eine Art Freiheitsempfindung. Und Schöneres kann Schönes nicht bewirken.
Martin Walser, Konstanz, 1984
Material:
Collage aus bemalten Papieren,mit Rahmen
Jahr:
2016
Technik:
Collage aus bemalten Papieren und Schreibmaschinentexten